Sylvia Schlieder

Erinnerst Du Dich an ein Kunstwerk oder einen Moment, der für Dich persönlich den Ausschlag gegeben hat, Dich beruflich mit Kunst zu beschäftigen?

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die den Künsten sehr verbunden ist: ob Musik, bildende Kunst oder Literatur. Das war immer sehr präsent und hat sicherlich auch auf mich abgefärbt. Als Kind hat mich immer der pastose Farbauftrag eines Stilllebens mit Sonnenblumen fasziniert und ich bin im Geist die Pinselstriche nachgefahren - das klingt vielleicht ein wenig pathetisch aber hatte einen großen Impact :) Später war mir dann schnell klar, dass ich etwas Kreatives im weiteren Sinne machen wollte und so habe ich mich eines Tages für die Kunst entschieden.

Viele Menschen fühlen sich von Kunst angezogen, wissen aber nicht genau, wie sie anfangen sollen, sich intensiver damit zu beschäftigen. Hast Du einen Gedanken oder Impuls, wie man sich der eigenen Sammlerhaltung nähern kann – ohne Millionen-Budget?

Ich empfehle als erstes, sich mit der lokalen Galerienszene zu beschäftigen: erst einmal reinschnuppern und langsam das Auge schärfen. So kann man recht gut einen Überblick erhalten, welche Medien einem gefallen. Das Spektrum ist ja enorm groß: von Malerei zu Zeichnung über Skulptur, Lichtkunst, Installationen, Konzept- oder Videokunst. Einen guten Einstieg zum Kunstkauf bieten z.B. Zeichnungen oder limitierte Editionen, bei denen aber auf eine sehr kleine Stückzahl geachtet werden sollte. In Frankfurt bin ich in einer Galerienvereinigung, die immer am selben Tag ihre Ausstellungen eröffnen - so können Interessenten viele Ausstellungen an einem Abend besuchen und allmählich in die Szene eintauchen. Unsere Kunsttouren durch alle teilnehmenden Galerien sind immer ausgebucht, hier sieht man das große Interesse der Menschen an der zeitgenössischen Kunst. Oftmals herrscht jedoch noch eine große Hemmschwelle, einfach in Galerien zu gehen. Das wollen wir mit den Touren und öffentlichen Vernissagen aufbrechen und gegen das Vorurteil des elitären Galeristen ankämpfen. Zu uns dürfen alle auch gerne nur zum Schauen kommen, am Ende des Tages bieten Galerien ja ein kostenloses Kulturangebot und fungieren als Sprachrohr für ihre Künstler. Wenn man sich dann einen Überblick über die Galerienszene verschafft hat, sind Kunstmessen auch eine gute Möglichkeit, um viel zu sehen und zu vergleichen. Ich empfehle aber immer erst einmal den ruhigen, lokalen Start. Und natürlich sind fast alle Kunstakteure in den Sozialen Medien vertreten, hier kann man sich auch von Zuhause aus bereits einen Einblick verschaffen und sowohl Galerien als auch Künstlern folgen.

Was nimmst du aus Gesprächen mit Sammlern und Sammlerinnen mit, das du weitergeben kannst?

In Zeiten der Überdigitalisierung schätzen meine Kunden besonders die individuell zugeschnittene Beratung vor Ort – das höre ich immer wieder. Und genau das ist es auch, was mir enorm viel Spaß macht: Ich lerne sehr unterschiedliche Charaktere kennen, jede Begegnung ist anders. Oft schaue ich mir zuerst die Räumlichkeiten an, für die Kunst gesucht wird. Hinzuhören, sich Zeit nehmen für einander, statt nur die schnelle Transaktion durchzuführen. Daraus entsteht eine echte Vertrauensbasis – und genau das spiegeln mir meine Sammler auch zurück. Sie schätzen es, wenn ich ihnen nicht nur Werke zeige, sondern auch die Geschichten dahinter vermittle. Besonders wichtig ist vielen, die Künstler auch persönlich kennenzulernen. Ich habe schon immer Previewveranstaltungen oder get together im kleineren Rahmen in der Galerie gemacht, weil das ein substanzielleres Kennenlernen und einen Austausch zwischen Sammlern, Künstlern und mir ermöglicht. Vor Kurzem habe ich zusätzlich ein privates Salonkonzept in meinem Zuhause ins Leben gerufen, zu dem immer nur eine kleine Anzahl von Interessierten eingeladen wird. Es geht darum, dass sich Menschen begegnen, die sich im Alltag vielleicht nie treffen würden – interdisziplinär, offen, neugierig. Und genau darin liegt für mich der Reiz: im analogen Austausch, im Zuhören, im gemeinsamen Neuentdecken. Diese Formate werden sehr gut angenommen – man spürt, dass die Menschen Lust auf intime, feine Veranstaltungen haben. Ich glaube, für viele Sammler, die beruflich keine Berührungspunkte mit dem Kunstmarkt haben, sind die Ausflüge in die Kreativszene eine Horizonterweiterung und sinnliche Bereicherung. Es ist eine Welt, die sie freiwillig und leidenschaftlich betreten und nicht aus Pflicht, sondern aus Interesse, Neugier und oft auch aus einem tiefen persönlichen Bedürfnis nach Ausdruck, Inspiration oder auch Freiheit.

Wie viel Bauchgefühl darf beim Kunstkauf dabei sein – und wie viel sollte man sich mit Kontext, Markt oder Medium beschäftigen?

Eine gesunde Balance aus Bauchgefühl und informierter Entscheidung ist am idealsten, wobei meines Erachtens auf das Bauchgefühl, gerade bei Privatkunden, immer vorrangig geachtet werden sollte. Die Kunden leben dann ja mit den Werken, daher muss das Werk emotional sofort überzeugen. Den Kontext zu kennen vertieft in der Regel die Verbindung zum Werk. Wer beides vereint, sammelt klug und mit Herz.

Was macht für Dich ein Werk oder eine künstlerische Handschrift heute wirklich relevant – auch jenseits des Hypes?

Mich persönlich muss ein Kunstwerk sofort berühren und durch seine einzigartige Handschrift überzeugen. In meiner Galerie zeige ich oftmals Künstler, deren Medium sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließt - das ist für mich das spannende am Markt. Relevanz zeigt sich in der Beherrschung oder bewussten Brechung von Form, Material und Medien aber natürlich auch in der gezielten Widerständigkeit - gerade wenn es politische oder gesellschaftskritische Werke sind.

Und zuletzt: Gibt es gerade Künstler:innen oder Werke, die Dir nicht mehr aus dem Kopf gehen – und wenn ja, warum?

2015 habe ich erstmals Werke von Los Carpinteros in Brüssel entdeckt, aber konnte damals noch nicht ankaufen, obwohl sie - im Nachhinein betrachtet - zu fairen Konditionen gehandelt wurden. Ich trauere ihnen immer noch hinterher, aber freue mich umso mehr, wenn ich sie dann in großen Sammlungen oder auf dem aktuellen Kunstmarkt wieder entdecke. Daher mein Tipp: schlagt zu, wenn Ihr irgendwie könnt. Galeristen lassen in der Regel auch über eine Bezahlung in Raten mit sich sprechen!